Ramdas (1608 – 1681 n.Chr.)

Bald nachdem Narayan bei einem Besuch im nahen Tempel seine spirituelle Selbstverwirklichung erfahren hatte, sollte er gemäß dem Wunsch seiner Mutter Ranubai heiraten. Aber die Sehnsucht des jungen Mannes nach der Verschmelzung mit seinem höheren Selbst war größer geworden, seit jenem Erlebnis und all das Weltliche verlor für ihn von Tag zu Tag an Bedeutung. Dennoch fügte er sich vorerst dem Wunsch seiner Mutter. Rasch war der Tag der Vermählung näher gekommen und schon war er der Bräutigam Narayan, der darauf wartete mit seiner Braut das heilige Feuer zu umschreiten.

Doch als der Brahmane eben den letzten Vers anstimmte, durchfuhr den jungen Mann wie ein Lichtstrahl die plötzliche Erkenntnis seiner Bestimmung und unvermittelt sprang er auf und lief davon, so schnell ihn seine Beine zu tragen vermochten. Bevor die verblüfften Verwandten noch begriffen was geschehen war, war Narayan schon ein gutes Stück voraus. Einige liefen ihm noch nach, aber es war zwecklos. Narayan durchquerte eilends den Fluss und ließ nicht nur die Braut und seine Vergangenheit, sondern auch den Schutz und die Liebe seiner Mutter und seines Bruders hinter sich.

Sich vollkommen der inneren Gottessuche widmend, nahm er den Namen Ramdas (Diener Ramas) an, gab allen Besitz auf und lebte von dem, was ihm die Menschen bei seinen Almosengängen in einer nahen Stadt gaben. Bevor er selbst etwas zu sich nahm, tauchte er die Speisen in den Fluss, gab ein Drittel den Wassertieren, ein Drittel den Kühen und aß den Rest, während er um den Segen Shri Ramas bat. Nach zwölf Jahren rigorosem asketischen Leben beendete Ramdas im Alter von vierundzwanzig seine Bußübungen. Er fühlte, dass seine Individualseele (Jiva) eins mit Shri Rama geworden und das Bewusstsein seiner früheren Identität verschwunden war. Vereinigt mit dem alles durchdringenden Geist, sah der Heilige in allem das kosmische Licht. Nun sollte das Schicksal sein Leben in eine neue Richtung lenken.

Maharastra stand zu jener Zeit unter der Gewaltherrschaft muslimischer Bijapur- und Mogulherrscher. Das Land war vom Krieg zerrüttet und das Leid der hinduistischen Bevölkerung bewegte Ramdas tief. In seiner Kindheit hatte Ramdas einmal zu seiner Mutter gesagt, dass er an das Wohl der Welt denke. Einige seiner Gebete sind schriftlich überliefert:

„Oh Gott, ich kann es nicht mehr ertragen, das Leid dieser hilflosen Seelen zu sehen; sei so gütig und nimm Dich ihrer an. Sie tun oft Unrecht und machen Fehler, aber habe bitte Mitleid mit ihnen, überlege was sie brauchen und führe sie zum Guten.“

„Die Nation ist ruiniert und verwüstet, die Menschen wurden ins Elend gestoßen und ermordet, die Weisenkinder hungern und schreien nach Brot, o Gott, wie lange willst Du ihre Geduld auf die Probe stellen? Lieber will ich sterben, als ihr Leid mitanzusehen.“

„Welchen Sinn hat die Philosophie der
Vedanta, wenn die Mehrheit der Menschen kein menschenwürdiges Leben führen kann?“

Der Freiheitskampf in Maharashtra

Es musste etwas getan werden, um das Dharma zu schützen und den muslimischen Angriffen zu widerstehen. Dazu musste man die Inder jedoch zuerst ermutigen, für ihre Ideale einzustehen und ihre Selbstachtung zurückzugewinnen. Ramdas wollte die Menschen über ihr gewöhnliches religiöses Empfinden erreichen und Shri Rama war das perfekte Ideal für seine Vision. Er verkörpert den pflichtbewussten Sohn und idealen König, er war Mariada Purushottama, das höchste Vorbild des tugendhaften Menschen und er tötete die Dämonen und stellte das Dharma wieder her.

Ramdas hatte die Gabe, die interessanten Begebenheiten der Ramayana so zu erzählen, dass auch das einfache Volk die darin enthaltene Botschaft verstehen und den Dämon ihrer Zeit erkennen konnte. Auf diese Weise gelang es ihm diskret die religiöse, soziale und politische Erhebung vorzubereiten. Gesuche um Toleranz und friedliche Koexistenz mit den herrschenden Moslems hatten sich als nutzlos erwiesen. Aber auch die offene Feindschaft war aufgrund der militärischen Macht des Feindes unmöglich. Als einziger Ausweg blieb der Widerstand im Untergrund und so begann man gegen den muslimischen Einfluss zu arbeiten, indem man neue hinduistische Klöster eröffnete. Als Novizen wurden Männer, Hausfrauen und Witwen aufgenommen und fähige Frauen wie Venabai wurden zu Leiterinnen von Klöstern ernannt, welche ihre eigenen Schüler haben durften.

Die Schüler wurden angehalten ihre Zeit nicht zu vertrödeln, sich nicht dem Klatsch hinzugeben oder gedankenlos zu handeln, nicht selbstsüchtig zu sein oder zu prahlen, keine Almosen von jenen zu nehmen, die sie nur widerwillig geben, sich nicht in lokale Interessensgruppen zu engagieren, nicht ihre Ruhe zu verlieren und nicht andere Religionen zu kritisieren, nicht mit Wundern zu prahlen und nicht die Naturgesetze zu verletzen. Bald erkannten die Menschen den Wert dieser Konklaven als nützliche öffentliche Einrichtung und Ramdas als aufrichtigen öffentlich Bediensteten.

Die Schüler des Ramdas gründeten einen regulären Ramdasi Orden und gingen Shlokas singend herum, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen. Ramdas legte großen Wert auf die Kunst des Gesanges. Er meinte, dass die Süße der Bhajans das innerste Wesen berührt und die Kunst des Gesanges gesegnet sei, da sie die eigene Hingabe zu Gott zu intensivieren vermag. Die Gesellschaft war von der Aufrichtigkeit der Ramdasis beeindruckt und gewährte ihnen alles was sie benötigten.

Ein weiterer Vorteil war, dass die Ramdasis nicht auf Kosten der Gesellschaft lebten. Außer der täglichen Gottesverehrung unterrichteten sie junge Männer darin ihre Körper zu trainieren und veranstalteten Ring- und andere Wettkämpfe, in denen diese ihre Kräfte messen konnten. Die Ramdasis versuchten die feurige Persönlichkeit ihres Meisters nachzuahmen und so die kämpferische Natur der Jugend anzufachen. Standbilder von Shri Hanuman, dem Symbol von Hingabe und Kraft, wurden aufgestellt und die Lokalbevölkerung zu deren Verehrung eingeladen. Shri Hanuman ist für seine Unschuld, diplomatische Redlichkeit, Weisheit, Wahrheitsliebe, Selbstlosigkeit, Furchtlosigkeit und für seinen Gerechtigkeitssinn bekannt.

Auf diese Weise projizierte Ramdas die Hingabe zu Shri Rama und die Bereitschaft jederzeit das Böse zu bekämpfen auf die
Vir Marutis und ermutigte die Menschen in Maharashtra der Tyrannei der Moslems standzuhalten. „Feuer muss entfacht werden, und mit etwas Anstrengung wird es auch entfacht; das ist der Weg um den Menschen den richtigen Geist einzuflößen und sie zum Handeln zu veranlassen. Strengt euch an, habt Vertrauen in Gott und erhebt euch!“ So mahnten die jungen Männer des Ramdasi-Ordens das Volk den richtigen Pfad zu nehmen und alles Kleinlaute und Milde abzuwerfen. Große Hindu-Feste wurden veranstaltet, wo es unter großem Jubel gelang, Tausende für die Verjüngung ihrer eigenen Religion zu gewinnen.

Der berühmteste Schüler des Guru Ramdas war ein junger aufstrebender Marathi-Führer namens Shivaji Bhonsle, welcher später zum Vater des unabhängigen Maharasthra werden sollte. Shivaji stammte aus einer Beamtenfamilie und machte sich schon mit sechzehn Jahren einen Namen als mutiger Kämpfer, der erstmals in Indien den Feind mit Guerilla-Taktik zu schwächen versuchte.

Einmal bot Shivaji seinem Guru den gesamten Staatsschatz als Geschenk an, und Ramdas sagte: „Gut, Shivaba, das Königreich gehört jetzt mir, aber was willst du nun tun?“ Shivaji antwortete schlagfertig: „Ich möchte meine Zeit damit verbringen, euch zu dienen, ehrwürdiger Meister!“ Ramdas erlaubte Shivaji daraufhin ihn bei seiner täglichen Almosenrunde zu begleiten und sich seinen Schülern anzuschließen, welche Wasser holten, Töpfe reinigten und kochten. Nach einiger Zeit fragte Ramdas: „Gut Shivaba, wie fühlst du dich nun?“ und Shivaji antwortete: „Ich bin sehr glücklich mein Guru Maharaj, dass ich euch dienen darf.“ Daraufhin sagte Ramdas: „Du bist ein Kshatriya! Es ist nicht gut wenn du mit mir Betteln gehst.“ Erlaubte etwa Lord Krishna seinem Schüler Arjun ein Sannyasi (Asket) zu werden? Nimm also das Königreich zurück, kleide dich in deine königlichen Gewänder und regiere als ein gesegneter Diener Gottes.“

Einmal litt Ramdas an peinigenden Schmerzen und sagte, dass nur die Milch eines Tigers ihm helfen könne. Shivaji versprach die Milch zu besorgen und begab sich in den Dschungel. Bei einer Höhle stieß er schließlich auf ein paar spielende Tigerjunge und kurze Zeit später tauchte auch die Tigermutter auf. Als sie Shivaji wahrnahm, brüllte sie furchteinflößend. Shivaji stand auf, verbeugte sich und bat die Tigerin um etwas Milch für seinen Guru Ramdas. Sofort wurde das Tier ganz ruhig und blieb reglos stehen. Shivaji molk sie behutsam, bedankte sich bei der Tigerin und kehrte voll der Dankbarkeit für seinen Guru zurück.

In einer anderen Geschichte wird erzählt, dass die Schüler Ramdas eines Tages mit einem dicken Verband um seinen geschwollenen Fuß vorfanden. Der Meister sagte, dass er an einem schmerzhaften Geschwür leide und ihm nur Linderung verschafft werden könne, wenn ihm einer der Schüler das Geschwür aussaugen würde. Ohne lange nachzudenken erklärte sich Shivaji bereit, seinem Meister zu dienen. Als dieser den Verband etwas lockerte und Shivaji zu saugen begann, wunderte er sich über den süßen Geschmack. Da stellte sich heraus, dass sich Ramdas eine überreife Mango an den Fuß gebunden hatte, um seien Schüler zu prüfen. (4)


Ramdas unterwies Shivaji aber auch in praktischer politischer Strategie, in richtigem Denken, ständiger Vorsicht, weitem Bewusstsein, aufrichtiger Güte, strikter Befolgung aller moralischen Regeln, der Bereitschaft den Schwachen und Bedrängten zu helfen, volles Vertrauen in Gott zu haben und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Er sagte, dass Gott jenen hilft, die sich selbst helfen und seine Hand in allem sichtbar ist, was das Gemeinwohl zum Blühen bringt. Ramdas empfahl seinen Schülern ruhig und aufmerksam zu sein und bei Schwierigkeiten zur Göttin Bhavani zu beten und um ihre Führung zu bitten.

1647 krönte sich Shivaji selbst zum Chhatrapati (wörtl.: Herr des Universums), womit er der militärischen Übermacht der Mogul-Herrscher zum Trotz, seine Unabhängigkeit kennzeichnen wollte. In einem bekannten Gebet besingt Ramdas die Heldentaten der Göttin Bhavani im Kampf gegen die Dämonen und bittet Sie ihre Macht in der Gegenwart zu demonstrieren: „O Mutter, gewähre mir nur einen Wunsch und lass unseren König Shivaji sieg- und erfolgreich sein.“

Als sich Ramdas immer stärker mit den Mühen des Alters konfrontiert sah, bat ihn Shivaji mit den Almosengängen aufzuhören und bot ihm Unterstützung für seine Institutionen an. Aber der Meister lehnte dies ab. Hinter der Institution sollte die Hingabe und die Mühe der Schüler als solide Basis stehen. Ramdas war der Meinung, dass die Öffentlichkeit lernen müsse, etwas für die Aufrechterhaltung nützlicher öffentlicher Institutionen zu opfern. Dennoch nahm Ramdas bei seinen Almosengängen immer nur das was er gerade brauchte, auch wenn jemand viel mehr anbot. Das selbe erwartete er auch von seinen Schülern.

Ramdas war auch ein Experte in der Herstellung von Götterbildern und wusste, welche Werkzeuge dafür nötig sind und welche technische Fertigkeiten man benötigt. Einmal soll er einen Maruti aus Kuhdung und Kalk geformt haben. Außerdem malte er Bilder und stellte kleine Figuren her.

Der Meister war davon überzeugt, dass jeder, der in weltlichen Angelegenheiten erfolgreich ist, auch auf dem Feld der Religion und Spiritualität erfolgreich sein kann. „Siehe deinen Haushalt als Auftrag Gottes an und verrichte deine Pflicht als Dienst für Ihn“, war einer seiner Leitsprüche. Aber auch weltliche Themen waren dem Meister nicht fremd. So beschrieb er die Pflichten eines Königs und eines Dieners, welche Qualitäten ein Krieger haben muss, die Verantwortung des Poeten und des Haushälters, jene eines idealen Schülers und die des idealen Gurus. Er schilderte was ein Sannyasi (Asket) machen soll, wie man eine Befestigung auf einem Hügel errichtet, wie man einen Garten anlegt oder auch die Nützlichkeit von süßem Gesang, gutem Lesestoff und der Politik. Das Hauptthema seines großen Werkes „Dasbodh“ ist jedoch die spirituelle Beziehung zwischen dem Höchsten Absoluten und der individuellen Seele, diskutiert vor dem Hintergrund der Hingabe.

In Paithan sahen die Brahmanen Ramdas einmal mit Bogen und Pfeilen. Da sie wissen wollten, ob er damit umgehen könne, forderten sie ihn auf, auf eine fliegende Gabelweihe zu schießen. Als Ramdas den Vogel abgeschossen hatte, gaben sie ihm die Schuld am Tod des Tieres. Er sagte, dass er ihnen nur gehorcht habe und ihnen auch weiterhin gehorchen wolle. Die Brahmanen bereiteten daraufhin religiöse Riten für seine Sühne vor. Ramdas beugte sich still dem Ritual, bis die Brahmanen begriffen hatten, dass er frei von jeder Sünde war. Der Vogel lag jedoch noch immer tot im Sand. So sagte er: „Wie kann ich frei von Sünde sein, wenn die Weihe tot ist? Sie muss wieder zum Leben erweckt werden.“ Die Brahmanen behaupteten, dass es in den Schriften für die Wiederbelebung keine Regelung gäbe. „Aber dann haben die religiösen Riten keinen Sinn“, entgegnete Ramdas. „Ich will Shri Rama anflehen, dass er all meine Verdienste verwenden soll, um den Vogel wieder zum Leben zu erwecken.“ Dann nahm er etwas Wasser und tröpfelte es auf den toten Vogel und zum Erstaunen der Brahmanen erhob sich die Gabelweihe wieder in die Lüfte.

Ein anderes Mal bat ein Hirte Ramdas um ein Mantra, welches die Kraft haben sollte, seinen hungrigen Magen zu füllen. Ramdas lehnte das Gesuch mit der Begründung ab, dass man dem Gemüt nicht in die Hände spielen solle. Der Hirte gehorchte ihm aufrichtig und erlangte bald darauf seine Selbstverwirklichung.

Als Ramdas eines Tages nach Sheshchal kam, war er traurig über die bitteren Streitigkeiten zwischen Vishnu und Shiva Anhängern und erinnerte die Streithähne an das Panchayatan-Prinzip, wo alle fünf Deitäten – Shiva, Vishnu, Ganesha, die Sonne und die Shakti gemeinsam verehrt werden.

Am Sterbebett sagte er: „Ihr sollt Gott nicht für meine persönliche Gesundheit anrufen, die Dinge müssen ihren eigenen Lauf nehmen. Ich werde in der Form von Dashbodh und Atma bei euch sein; seid nicht traurig.“ Dann rief er „Hare Hare Shri Rama“ und blickte auf die Statue Shri Ramas. Dabei kam ein kosmisches Strahlen aus seinen Augen und verschwand in der Statue.

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1 Vedānta: Zusammensetzung aus „Veda“ und „anta“ = Ende; das Ende, d.h. die Schlussbetrachtungen der Veden, wie sie zunächst in den Upanishaden enthalten sind. Die in ihnen verstreuten Offenbarungen und tiefen Einsichten, die sich vor allem mit Brahman und Ātman und dem Verhältnis der beiden zueinander beschäftigen, hat Bādarāyana in seinem Vedānta-Sūtra zusammengefasst, das die Basis der Vedānta-Philosophie bildet.

2 Vir Maruti: Ein Name für Shri Hanumana. ‚Maruti’ ist sein Vater der Windgott und ‚vira’ bedeutet Kraft.

3 Shivaji (1627 – 80): Shivaji wurde in einem vom Krieg zerrütteten und durch Hunger bedrohten Maharasthra geboren. 1647 begann der damals 20-jährige die Autorität der einheimischen Bijapur-Herrscher zu untergraben. Er eroberte Festungen des Landadels und schuf eine unabhängige, hinduistische Maharasthra Zone rund um Pune, was die muslimischen Bijapur- und Mogulherrscher nicht kampflos hinnahmen. 1674 unterzog sich der Rebell einer Reihe brahmanischen Riten und ernannte sich selbst zum König der Marathen. 1680 starb Shivaji Maharaj an Ruhr. Shivaji hatte das Reich Maharasthra gegründet und seinem Volk so eine eigene Identität gegeben, damit inspirierte er auch spätere Generationen und beeinflusste die Geschichte Indiens nachhaltig.

4 Beide Geschichten wurden des öfteren bei Guru-Pujas von H.H. Shri Mataji Nirmala Devi erzählt.

Quelle: „Realised Saints“ v. Yogi Mahajan
Übersetzung und Bearbeitung: S. Hader